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Wie so oft verlieren sich auch bei den chinesischen Kampf "künsten" - Wushu - die Anfänge im Dunkeln der Geschichte. Es gibt ein paar hübsche Legenden, die durch gebetsmühlenartige Wiederholungen zwar nicht wahrer, aber dafür populär geworden sind.

Unter chinesischen Kampfkünsten, wie sie in Europa und Amerika heute bekannt sind, werden im Allgemeinen die Kampfkünste der Shaolin Mönche verstanden. Das ist aber eindeutig zu kurz gegriffen.

Die "Kampf"künste haben, wie schon ihr Name sagt, ihren Ursprung im Kriegshandwerk.

Belege für ihre Entwicklung existieren seit der Zhou Dynastie, die ihren Anfang vor mehr als 3000 Jahren nahm.

Je nach der inneren Verfassung der chinesischen Dynastien wurden die Kampfkünste öffentlich gefördert oder gediehen im Untergrund.
In unruhigen Zeiten, und deren gab es viele in der chinesischen Geschichte, existierten unzählige Geheimbünde und Bruderschaften. Diese Geheimbünde und Bruderschaften, deren Aufgabe es war, ihre Mitglieder zu unterstützen und zu schützen, befanden sich in der Regel außerhalb des geltenden Rechts. Deshalb standen in den Bünden die Kampfkünste als Mittel der Verteidigung oder gar des "Broterwerbs" in hohem Ansehen.

Viele Mitglieder der Geheimbünde fanden in Klöstern Unterschlupf, sowohl in daoistischen als auch in buddhistischen. So kamen die Kampfkünste in die Klöster.

Das geistige Gedankengut der Klöster blieb natürlich nicht ohne Einfluß auf die Denkweise derjenigen, die die Kampfkunst praktizierten.
Besonders die in den Klöstern geübten Techniken zur Beeinflussung der Körperfunktionen wie z.B. Qigong, die Konzentrationsübungen und die Beobachtung des eigenen Körpers während der Meditation, hatten einen starken Einfluß auf die Kampftechniken.
Andererseits ist es durchaus so, daß die gymnastischen Übungen der Kämpfer auch den Mönchen zur körperlichen Ertüchtigung dienen und bei der Meditation hilfreich sein konnten.

In diesem Sinne ist es zu verstehen, daß es jede Menge Hinweise darauf gibt, daß die Kampfkünste von den Klöstern bzw. den Mönchen gepflegt wurden. Und dies nicht nur in buddhistischen sondern auch in daoistischen Klöstern.

Die Kampfkünste waren aber im Allgemeinen Bestandteil der Kultur der Ausgegrenzten, der Unterpriviligierten, der Armen und Rechtlosen, ein Mittel im Überlebenskampf gegen eine unbarmherzige und grausame Umwelt. Für diese Menschen war es kein Sport oder Hobby. So blieb es nicht aus, daß die Kampfkünste oft auch zu einem Mittel bei halblegalen oder gar kriminellen Aktivitäten wurden.

Viele Kampfkunst Praktizierende verdienten sich ihren Lebensunterhalt auch als wandernde Heiler oder Straßenkünstler. Oft schlossen sie sich wanderden Operngruppen an. Sie boten diesen Gruppen einen gewissen Schutz und halfen ihnen, ihre Vorstellungen attraktiver zu gestalten. Im Gegenzug dafür erhielten sie Unterkunft und Gemeinschaft.

Vom 18. bis 20. Jahrhundert versuchten viele, die in den Kampfkünsten bewandert waren, aus der "Illegalität" und der Nachbarschaft mit den kriminellen Geheimbünden, in der sie sich befanden, herauszukommen und das Ansehen der Kampfkünste wieder zu heben.

Sie versuchten, wie Naturheiler und Chiropraktiker, durch die Eröffnung von Schulen Eintritt in die Schicht der "Handwerker" und damit gesellschaftliches Ansehen zu erlangen.

Dazu gehörte als Wichtigstes die Veränderung ihres Erscheinungsbildes.

Man sprach nicht mehr wie bisher einfach von Kampf - "Techniken" sondern von Kampf- "Künsten". Die Instrukteure waren nun nicht länger "vagabundierende Strolche", sondern ließen sich "Meister" nennen.

Der nächste Schritt war die vorhandenen Zeremonien und Rituale an die eigenen Bedürfnisse anzupassen oder neu zu schaffen, um eine Tradition zu etablieren. Je älter die "Tradition", desto besser.
Darauf ist auch die Legende zurückzuführen, daß der indische Mönch Bodhidarma vor 1500 Jahren die Shaolin- Kampfkunst geschaffen haben soll.
Das Buch Yi Jin Jing, auf dem diese Zuschreibung basiert, erwies sich als eine Fälschung, die vom Anfang des 19. Jahrhunderts stammt.

Sehr häufig wurde konfuzianisches Gedankengut den Bedürfnissen der neuen "Meister" angepaßt.
Man errichtete Ahnen- Altäre für die "Vorfahren", um zeigen zu können, auf welch langer Tradition die Kampfkunst beruht und vor allem um zu zeigen, welch ehrwürdiger Abstammung der "Meister" doch sei. Es geschah durchaus, daß die "Meister" einfach nicht wußten, wann und wo die von ihnen praktizierte alte Kampfmethode ihren Ursprung hatte - so wurden dann ein "Begründer" der Tradition und historische "Großmeister" kurzerhand erfunden.

Desweiteren wurden sorgfältig, aufwändig gestaltete Aufnahmezeremonien ausgearbeitet, um der Aufnahme des Schülers in den Kreis der "Eingeweihten" die notwendige Würde zu geben. Auf diese Weise konnte der in der konfuzianischen Tradition stehende Lehrer den gleichen Respekt und die gleiche Loyalität von seinen Schülern erwarten wie der Vater von seinem Sohn.

Schließlich wurde das Konzept einer "edlen Kämpfertugend" entwickelt, die die Treue zum Lehrer zur nicht zu hinterfragenden Pflicht machte und hohe "Moralität" beinhalten sollte.

Diese Etablierung der Kampfmethoden als eine Form der "Künste" und die dem Konfuzianismus nachempfundenen Rituale und die entsprechende Terminologie halfen vielen Begründern von Kampfkunstschulen, einen höheren sozialen Status und einen angeseheneren Platz in der Gesellschaft als zuvor zu gewinnen.

Doch viele von den neuen Kampfkunstlehrern waren untereinander zerstritten und hielten weiterhin ihre Kontakte zur kriminellen Unterwelt aufrecht, was zu einer allgemeinen Verdächtigung der Kampfkunst Praktizierenden führte, die zum Teil bis zum heutigen Tag in einigen Ländern anhält.

Das beste Beispiel dafür, daß die Kampfkunstschulen sich nicht voll in die Erwartungen der Gesellschaft integrieren wollten, sind die " Herausforderungen ", die sich die einzelnen Schulen lieferten.
Neben den Bemühungen der Schulen um ihre Legitimation und um die Legalisierung der Kampfkunst ließen sie nichts unversucht, den "Respekt" der Konkurrenz und den "Ruhm" zu erlangen, was die Basis für neue Schüler darstellte. Und wie konnte man das besser erreichen als durch Herausforderungen anderer Schulen?
Diese Kämpfe endeten konsequenterweise mit zahlreichen Toten, die oft für alle sichtbar auf der Eingangstreppe der Schule zurückgelassen wurden.

Und tatsächlich, eine Schule, die regelmäßig erfolgreich derartige Herausforderungen bestand, besaß in allen Bereichen der Gesellschaft ein gewisses Ansehen - bei den Bruderschaften, den Geheimorganisationen, dem Militär, dem einfachen Bürger und bei der reichen Elite, die die Kampfkünste als ein esotherisches Hobby betrachteten, ähnlich dem des modernen "new age".

Es soll an dieser Stelle noch einmal betont werden, daß die Kampfkünste wie sie gegen Ende der Qing-Dynastie praktiziert wurden, keine nur der Selbstverteidigung dienenden Techniken waren, sondern in ihrem Endziel auf das Töten des Gegners ausgerichtet waren!

Mit dem Zusammenbruch der Qing-Dynastie und der Gründung der Republik im Jahre 1911 änderte sich nicht viel am Status der Kampfkünste und am Leben der Menschen, die diese Künste praktizierten. So kam es, daß viele Kämpfer und die Geheimgesellschaften die neu gegründete Regierung offen herausforderten.
Dadurch bekam die Guomindang ein weiteres Problem. Auf der einen Seite war sie sich durchaus bewußt, welche Rolle die Kämpfer und Geheimgesellschaften in Volksrebellionen spielten, hatte sich doch auch Sun Yat-Sen in seinen Bemühungen um die Errichtung der Republik auf zahlreiche Geheimgesellschaften gestützt. Andererseits untergruben diese Gruppen natürlich die Macht und das Ansehen der Guomindang.

Nachdem sich Chiang Kai-Shek 1927 in Shanghai während eines Massakers seiner kommunistischen Verbündeten im Kampf gegen die Warlords entledigt hatte, unternahm er verschiedene Schritte, um die Kontrolle über die Praktizierenden der Kampfkunst zu gewinnen.

Als erstes schuf die Regierung den Begriff "Guo Shu" was soviel wie "nationale Künste" bedeutet, um die Loyalität gegenüber dem Staat zu befördern.
Außerdem wurden alle Herausforderungen, Duelle, und öffentliche Kämpfe als illegal erklärt. Dafür wurden nationale Wettkämpfe geschaffen. Der erste wurde 1928 in Nanjing veranstaltet.
Weiterhin schuf die Guomindang Regierung das Zentrale Guo Shu Institut in Nanjing, um die Kampfkünste unter direkte staatliche Kontrolle zu bringen.

Aber alle diese Versuche zur Kontrolle und Anpassung schlugen wegen mangelnder Basisarbeit und Korruption innerhalb der neu zu schaffenden Organisation fehl, da viele der führenden Mitglieder der Guomindang auch Mitglieder geheimbündlerischer Kampfkunstschulen waren.

Nach der Gründung der Volksrepublik China im Jahre 1949 wurden die Bemühungen wieder aufgenommen, die Kampfkünste und die sie Praktizierenden in die Gesellschaft zu intergrieren .

Im selben Jahr wurde die Chinesische Sportvereinigung gegründet und es begann eine breite Diskussion über die Rolle von Körperkultur und Sport. Im Jahr 1959 wurde ein neues Regelement der staatlich geförderten "zeitgemäßen Kampfkünste" beschlossen.
Mit der Zeit wurde das traditionell mit den Kampfkünsten verbundene elitäre Denken überwunden und die Kampfkünste wurden breiten Volksmassen zugänglich.
Private Kampfsportschulen produzierten nicht länger Kämpfer, die sich nur gegen ihren Instrukteur loyal verhielten, sondern auch gegenüber dem Staat, auch wurde die Geheimniskrämerei gegenüber Außenstehenden aufgegeben.

Diese Entwicklung beseitigte die geheimbündlerische Tätigkeit, die Überheblichkeit, die ständigen "Herausforderungen", um sich und den anderen zu beweisen, was für ein Held man doch sei und die damit verbundene ständige Gewalttätigkeit.
Viele ausschließlich auf Gewalttätigkeit und das Töten des Gegners ausgerichtete Techniken wurden nicht mehr gelehrt.

Obwohl die "zeitgemäße Kampfkunst" auf den "traditionellen Kampfkünsten" beruhte, wurde sie nun in erster Linie eine auf Körperkultur, Sport und Unterhaltung ausgerichte "Kunst".

Unter dem Einfluß der Öffnungspolitik Chinas seit dem Beginn der achtziger Jahre setzte eine Entwicklung ein, die die exzessive Akrobatik einschränkte und mehr Wert auf fundamentale "Kampf"techniken wie Treten, Schlagen, Boxen usw. legte. Ebenso kehrte die Praxis des "free sparring" zurück. Allerdings sind gefährliche Attacken wie zum Beispiel der Einsatz der Finger gegen Augen und ähnliches nach wie vor nicht erlaubt.

Auch die "International Wushu Federation (IWUF)" begann neue Formen der Kämpfe zu fördern, die nun ebenfalls einen Kampf mit vollem Körperkontakt ermöglichen.

Viele, die die zu geringe Aggressivität und die zu starke Betonung der akrobatischen Darbietungen der "zeitgemäßen Kampfkünste" beklagen, vergessen die ebenfalls lange Geschichte der Nutzung der "Kampfkünste" für schaustellerische Zwecke , so auch am Hofe der Kaiser der Qing-Dynastie.
Artistische Kampfkunstvorführungen wurden in viele lokale Formen der "chinesischen Oper" und damit natürlich auch in die "Pekingoper" aufgenommen, um die Leute zu unterhalten. Die Schauspieler und Sänger erhielten ein Training, ähnlich dem, das auch die zu absolvieren hatten, welche die Kampfkunst praktizierten.

Andererseits werden die Kampfkünste aber auch von den schaustellerischen Traditionen auf Straßen und Plätzen beeinflußt.
Vorführungen, wie das Durchschlagen dicker Bretter, eines Ziegelstapels, das Verbiegen von Speeren durch das Dagegenlehnen oder gar das Ruhen auf nur wenigen Speerspitzen, all das und noch vieles mehr sind Produkte eben dieser Schaustellertradition.
Dafür sind genau wie in den traditionellen Kampfkünsten entsprechende körperliche Konditionierung und strenge Disziplin notwendig.

Die außerhalb Chinas bekanntesten Legenden und Geschichten über die Kampfkunst beziehen sich auf das Shaolin Kloster.
Das hat mehrere Gründe.

Im südlichen China gab es besonders viele Widerstände gegen die sich etablierende neue Qing-Dynastie und viele Unterstützer der Restaurationsversuche der Ming.
Zu diesen Unterstützern zählten neben Geheimbünden eben auch die Mönche des Shaolin Klosters.
Die oben schon erwähnte "Annexion" der Geschichte des Shaolin Klosters durch die Kampfkunstschulen ist ein weiterer wesentlicher Grund.

Weil der größte Teil der nach Amerika ausgewanderten Chinesen aus dem südlichen China stammte, ging natürlich damit die besonders starke Verbreitung der Geschichte dieser Gegend einher, da sie mit ihr besser vertraut waren als mit der von anderen Gegenden.

Aber den wesentlichsten Anteil an der Popularität des Shaolin Klosters hat vor allem die amerikanische Film- und Fernsehindustrie mit der Fernsehserie "Kung Fu" aus den Jahren 1972 - 1975 und 1993 - 1997.
Diese führten im Westen auch zum Gebrauch des Begriffes Gongfu (oder in der Schreibung nach Wade-Giles als Kung Fu). Damit ist aber nur das Beherrschen einer "Kunst" gemeint und nicht die "Kunst" als solche. Im chinesischen Sprachgebrauch ist gongfu keine Bezeichnung für die Kampfkünste an sich, sondern die Bezeichnung für jede Fähigkeit, in der man es durch harte Anstrengung zu einer gewissen Meisterschaft gebracht hat.
Der Sammelbegriff für alle chinesischen Kampfkünste ist Wushu.

Während man sich in China durchaus vieler Probleme bei der historischen Einordnung der verschiedenen Kampfkünste bewußt ist, stehen im Westen vor allem die chinesischen Kampfkünste in dem Ruf, auf uralte Traditionen zurückzugehen.
Hier kommt es aus ähnlichen Interessen zur Wiederholung der Geschichte.
Viele Betreiber von Kampfkunstschulen werben häufig damit, einen besonders alten, "authentischen" oder "originalen" Kampfkunststil anzubieten,um Interessierte anzulocken.
In der Regel ist aber die fantastische Geschichte der meisten Stile auf die oben beschriebene Legendenbildung zurückzuführen, oder die neuere Geschichte des Stiles wird bewußt verschwiegen.

Daß eine solche Mystifizierung gar nicht nötig ist, zeigen solch großartige Künstler wie Bruce Lee oder Jackie Chan, die ihre ganz eigenen Stile entwickelten.

Mit dieser Betrachtung soll keinem der Spaß an dem Besuch einer Kampfkunstvorführung genommen werden. Das Wissen um wichtige historische Zusammenhänge schmälert in keinem Fall die Leistungen der Kampfkunst Praktizierenden.

[© china-entdecken.com Gert Wiemeier]

wichtige Quellen:

ROSS, David A.
" A Brief History of Chinese Kung-Fu "
http://www.fightingarts.com/reading/article.php?id=476
http://www.fightingarts.com/reading/article.php?id=477

MATSUDA, Takatomo
Zhongguó w u shù sh i lüè - A Brief History of Chinese Martial Arts (in Chinesisch), Taipei, Danqing tushu  
zitiert in: http://www.hungkuen.net/history-damo.htm

STANLEY, Henning
"Martial Arts Myths of Shaolin Monastery"
http://seinenkai.com/articles/henning/mythsofshaolin.pdf
"Ignorance, Legend and Taijiquan"
http://www.nardis.com/~twchan/henning.html

TANG, Hao
"Shàolín W u dang k a o" - Shaolin-Wudang Research (in Chinesisch), 1930, 1968, Hong Kong, Qílín tushu - Unicorn Press,
zitiert in: http://de.wikipedia.org/wiki/Shaolin_Kung_Fu